Monitoring Belarus September 2022

Im September wurden in Belarus erneut Aktivist:innen und Journalistinnen verhaftet. Neu eingerichtet wurde ein „Institut für Sonderverfahren“ zur Durchführung von Strafverfahren und Urteile „in Abwesenheit“ gegen Personen, die sich außerhalb von Belarus aufhalten.  

Das Strafverfolgungsbehörden benannte Yanina Sazanovich, Olga Vysotskaya und Valeria Zanimonskaya als Personen, die in Abwesenheit verurteilt werden sollen. Der Vorwurf gegen die Frauen lautete auf Tätigkeit als Administratorinnen des Telegram-Kanals „Schwarzbuch Belarus“. Dort waren persönliche Angaben zu Sicherheitskräften und Regierungsbeamten veröffentlicht worden, die sich an Repressionen gegen Belaruss:innen beteiligt hatten. 

Im September erkannten Menschenrechtsaktivist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen die folgenden Frauen als politische Gefangene an: Anastasia Gunka, Natallia Korneeva, Alena Latushko, Alena Malkevich, Sviatlana Sakovich, Hanna Volskaya und Volha Mankevich. 

In Navapolatsk (Gebiet Vitsebsk) führte Anna Tukova während einer Schulkundgebung eine Antikriegsaktion durch. Während des Auftritts von Kindern in Militäruniform mit Maschinenpistolen stellte sie sich vor diese und zeigte das Victory-Zeichen. Tukova, die Mutter einer minderjährigen Tochter ist, wurde verhaftet und über eine Woche lang in einer Isolierzelle festgehalten. Zunächst wurde sie wegen der Teilnahme an Mahnwachen zu einer Geldstrafe verurteilt, einige Tage später wegen des Abonnements von extremistischen Sendern. Nach ihrer Freilassung wurde sie ein drittes Mal verurteilt, weil sie auf ihrer Instagram-Seite die ukrainische Flagge gepostet hatte. Der Gesamtbetrag der Geldstrafen belief sich auf fast 3.000 Euro. 

Die politische Gefangene Darya Chultsova wurde freigelassen. Am 15. November 2021 war sie die Kamerafrau einer Belsat-Übertragung von einer Kundgebung in Minsk anlässlich des Todes des Demonstranten Raman Bandarenka. Dafür wurde sie zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Ekaterina Andreeva, die als Stream-Journalistin tätig war, sollte ebenfalls freigelassen werden, wurde aber erneut verurteilt, dieses Mal zu acht Jahren Haft. 

Iryna Levshyna, die Chefredakteurin der nichtstaatlichen Nachrichtenagentur BelaPAN, befindet sich weiterhin in Haft. Sie wurde am 18. Dezember 2021 festgenommen und beschuldigt, eine extremistische Vereinigung gegründet zu haben. Der Prozess begann erst am 6. Juni 2022, und im September war noch kein Urteil gefällt.  

Olga Golubovich wurde unter dem Vorwurf der Beteiligung an einem versuchten Staatsstreich zu zweieinhalb Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Sie befand sich seit dem Frühjahr 2021 in Haft. 

Die Menschenrechtsaktivistin Marfa Rabkova wurde aufgrund von zehn verschiedenen Artikeln des Strafgesetzbuchs zu 15 Jahren Haft verurteilt. Sie ist die ehrenamtliche Koordinatorin des Menschenrechtszentrums  „Viasna“. Rabkova war seit September 2020 inhaftiert. Während dieser Zeit hat sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtert. 

Nach dem Prozess gegen Marfa Rabkova und andere politische Gefangene wurde die Menschenrechtsaktivistin Nasta Loika festgenommen, die zur Gerichtsverhandlung gekommen war. Sie erhielt dafür 15 Tage Haft wegen „geringfügigen Rowdytums“, wurde aber nach dem Prozess zu weiteren 15 Tagen Haft verurteilt. 

Die politische Gefangene Sofia Malaszewicz wurde freigelassen, nachdem sie ihre Strafe vollständig verbüßt hatte. Sie war am 6. September 2020 beim Marsch der Einheit festgenommen worden, bei dem sie die Schilde der Sicherheitskräfte besprüht hatte. 

Marina Sankevich wurde wegen vier Straftaten zu 7 Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Der Grund für ihre Inhaftierung waren ihre Kommentare in Telegram-Kanälen. 

Die BELTA-Journalistin Inna Mozhchenko wurde zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe (ca. 1.300  Euro) verurteilt. Der Grund für ihre Inhaftierung war ein Kommentar von ihr, der als „Beleidigung eines Vertreters der Behörden“ gewertet wurde. Der KGB setzte sie auf die Liste der „an terroristischen Aktivitäten beteiligten Personen“. 

Yana Pinchuk, die aus Russland ausgeliefert wurde, wurde nach fünf Artikeln des Strafgesetzbuches angeklagt. Ihr drohen bis zu 19 Jahre Gefängnis. Grund sind die Veröffentlichungen im Telegramm-Kanal „Vitebsk 97%“. 

Alena Lazarchyk, Aktivistin von „European Belarus“, wurde aufgrund von vier Artikeln des Strafgesetzbuches zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wurde ebenfalls auf die „Terroristenliste“ des KGB gesetzt. 

Die 19-jährige Anita Bakunovich, die Ende Juni wegen ihrer Teilnahme an Protesten zu zwei Jahren Hausarrest verurteilt worden war, wurde erneut inhaftiert. Der Vorwurf lautete auf „illegales Überschreitens der belarussischen Staatsgrenze“. 

Die Sängerin Meryem Herasimenka, die Anfang August festgenommen wurde, weil sie in Minsk ein Lied der Gruppe „Ocean Elzy“ in ukrainischer Sprache vorgetragen hatte, wurde nach 30 Tagen nicht freigelassen.  

Die politische Gefangene Ksenia Lutskina wurde unter dem Artikel „Verschwörung oder andere Handlungen mit dem Ziel der Ergreifung der Staatsmacht“ zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sie befand sich seit Dezember 2020 in Haft.  

Im September 2022 nahm Sviatlana Tsikhanouskaya an der 77. Sitzung der UN-Generalversammlung in New York teil.

Related news

Proteste für ein demokratisches Belarus – getragen von beeindruckenden Frauen
März 8, 2024
Die Proteste gegen das Regime in Belarus werden ganz maßgeblich auch von Frauen getragen. Mit unserem Projekt ‚FemMoz – Empowerment für Frauen in uns aus Belarus‘ stärken wir diese Frauen. Fünfzehn dieser beeindruckenden Frauen haben wir gebeten, uns ihre Geschichten vor der Kamera zu erzählen.
Interview mit Tatsiana Hatsura-Yavorskaya
März 7, 2024
Als der Krieg in der Ukraine im Februar 2022 begann, verließ Tatsiana Hatsura-Yavorskaya Belarus, um ihrer Familie in Kyiv beizustehen. Während sie dort lebt, hilft sie, einen Dialog zwischen der belarusischen Diaspora und den Ukrainer:innen aufzubauen, was aufgrund der Unterstützung Lukashenkas bei Russlands Krieg von großer Bedeutung ist. Hier teilt Tatsiana ihre Geschichte.
Interview mit Iryna Kashtalian
März 7, 2024
Da Lukashenka die wahre Geschichte von Belarus seit Jahrzehnten „umgeschrieben“ hat, und die Schrecken der sowjetischen Repressionen „verboten“ sind, wurde es 2020 für Historiker:innen fast unmöglich, ihre Arbeit im Land fortzusetzen. In ihrem Interview für FemMoz teilt Iryna Kashtalian die Herausforderungen des Lebens im Exil und die Schwierigkeiten belarusischer Historiker:innen bei der Ausübung ihres Berufs.