Trotzdem. Trotzdem?

Über Unmögliches in unsäglichen Zeiten.

Heute wurde in Hamburg etwas besprochen, das heutzutage praktisch unmöglich ist: deutsch-russischer Jugendaustausch. Ist er deshalb auch schon so unerträglich wie das Verhalten der russischen Führung? Und wie kann darin über die harte Realität – Krieg und Diktatur – gesprochen werden?

Der Hauptveranstalter der Diskussion „(Don’t) Mention the War!“, die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (SDRJA), die diese Format qua Amt seit 2006 engagiert gefördert hat, kann derzeit nur noch Einzelaktionen für Lehrer:innen, Sprachenlernende und russische exilierte Jugendliche in Deutschland anbieten, auch mal einen Ostsee-Segeltörn und sonst Brückenbau-Versuche nach Polen und in die Ukraine. Ihre Zukunft ist fraglich. Die anderen Beteiligten – MitOst und Arbeit&Leben Hamburg als Mitveranstalter – sowie die Diskutanten, u.a. Stefan Melle von Austausch e.V., haben solchen Jugendaustausch in verschiedensten Ansätzen organisiert. Doch war er jenseits wichtiger persönlicher Begegnungen – gerade seitens der Politik – oft von zu viel Hoffnung und Beschönigung begleitet. Benjamin Bidder, Wirtschaftsredakteur im Spiegel und früher dessen Moskau-Korrespondent, erinnerte daran, dass viele in der russischen Gesellschaft den Krieg mittragen. Wo Konsens unmöglich ist, erzeugt das Streit oder Beschweigen – letzteres herrschte bis 2022 vor, nun eher Distanzierung und Abkehr, bestätigt mit Bedauern Marija Ruzhitskaya (DRJUG e.V.).

Heute, zwei Tage später, folgte nun ein weiterer Schritt in der allgemeinen Zerstörung von russischer Seite: Hunderte sogenannte „Mittler“ – Lehrer:innen, Dozent:innen, Mitarbeiter:innen der Goethe-Institute usw. von deutscher Seite werden ausgewiesen. Dies stützt die pessimistische Prognose von Stefan Melle, Austausch e.V.: „Wir laufen auf ein aggressives, quasi-sowjetisches System zu, das hohe Barrieren errichtet und sich noch lange, vielleicht Jahrzehnte, halten kann, mit und ohne Putin.“ Wahrscheinlicher als ein jäher demokratischer Aufbruch ist eine zähe, gewaltsame Diktatur, in der jegliche Begegnung von manischer staatlicher Kontrolle und persönlichen Sicherheitsrisiken der Beteiligten unterminiert ist. Wenn sich noch jüngere Menschen aus beiden Ländern kennenlernen sollen – was notwendig bleibt – , dann sollte dies in anderen Ländern, am besten in mehrseitigen Austauschen geschehen, wo die Herkunft weniger entscheidend ist als die gemeinsame Erfahrung. Nicht ignorieren aber kann man den „Elefant im Raum“ – den Krieg. Also muss auch er besprochen und diese Erörterung sorgsam moderiert werden.

Angesichts der brutalen Überfälle auf die Ukraine stößt auch die traditionelle Friedenserziehung an ihre Grenzen, bekennt Regina Heller vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitpolitik. Sie versteht, dass die Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung hat – Friedensarbeit ist also auch die Wiederherstellung der gemeinsamen Regeln. Darüber zu sprechen, über die Gleichberechtigung von Ländern, über innere und äußere Kolonialgeschichte und Dekolonisierung sowie über die eines Tages bevorstehende Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, individueller Schuld und kollektiver Verantwortung, das wird unvermeidlich werden. Und da hat die Bundesrepublik mit ihrer eigenen mühsamen, jahrzehntelangen Aufarbeitungsgeschichte zu den Verbrechen der Nazizeit und im Zweiten Weltkrieg etwas zu erzählen, das viele in der russischen Gesellschaft jetzt sehr interessiert. Auch wenn es anstrengend und oft heikel ist, darüber offen zu sprechen.

Zudem gibt es immer noch zig Nischen und Brüche in beiden Gesellschaften, vergleichbar, aber nicht gleich – davon war in Hamburg, im und neben dem Veranstaltungsort von Arbeit&Leben, etliches zu sehen: Die Sticker und Sprüche der Gewerkschaftsjugend und Jusos, die Methadon-Versorgung der Abhängigen mitten auf der Wiese, die Milieus und ihre Begegnungen am Hauptbahnhof. Einander zu treffen und vom realen Leben zu erzählen, bleibt für alle von großem Wert. Langfristig müssen daran trotz allem auch wieder Jugendliche aus Russland beteiligt werden – die dann viele besondere Aufgaben zu bewältigen haben werden, einer Gesellschaft, die Krieg und unzählige Verbrechen zugelassen hat. Und die dann auch auf die furchtbaren Erfahrungen und Traumata, die Ablehnung und Wut der jungen Ukrainer:innen treffen. Und die vieler anderer in Europa. Unausweichlich, notwendig. Das ist, was Völkerverständigung heißt – zur Überwindung von Krieg und imperialem Wahn. Die Leitgedanken werden dann erneut sein – Nie wieder Krieg! Also: Frieden. Und Völkerrecht.

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